Das Strandsegeln kann auf eine sehr lange Historie zurückblicken: Der älteste Segelwagen, dessen Existenz uns schriftlich überliefert ist, soll im Besitz des ägyptischen Pharaos Amenemhet III (1844 –1797 v. Chr.) gestanden haben. Auch im Reich der Mitte begann man früh, nicht nur zu Wasser, sondern auch zu Lande zu segeln. Die windreichen Ebenen im Norden ihres Territoriums boten den alten Chinesen günstige Voraussetzungen dazu, die sie im großen Stil umsetzten, wie aus einem altchinesischen Schriftwerk hervorgeht. In diesem »Buch vom Meister der goldenen Halle«, das dem Gelehrtenkaiser Liang (Regierungszeit 552 – 554 n. Chr.) zugeordnet wird, ist von einem Segelwagen die Rede, der dreißig Personen befördern konnte. Beachtlich, ebenso wie das Tempo: Viele hundert Kilometer am Tag soll dieser große Wagen zurückgelegt haben.
Im Abendland gingen die ersten Strandsegler weitaus später an den Start. Um 1600 herum baute der Mathematiker, Physiker und Wasserbauingenieur Simon Stevin (1548 – 1620) den ersten Segelwagen – angeregt von den Berichten über die Landsegler in China und im Auftrag von Prinz Moritz von Oranien. Auch Stevins Wagen hatte ganz offensichtlich großzügige Ausmaße. Neben seiner Majestät und dem Erbauer fanden darin 26 weitere Personen Platz. Den Chronisten zu Folge flitzte man damit an der Küste von Scheveningen und Petten entlang. Denn auch der erste europäische Segelwagen war nicht eben langsam: Er soll in weniger als zwei Stunden eine Strecke von etwa 95 km zurück gelegt haben.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es vor allem die Gebrüder Dumont aus De Panne Belgien und der französische erste Kanalüberflieger Louis Bleriot aus Le Touquet, die sich erstmals professionell dem Strandsegeln widmeten.
In St. Peter-Ording tauchten die ersten Strandsegler erst nach dem zweiten Weltkrieg auf. Hier waren es zunächst die Gebrüder Wieben, die einen großen Strandsegler zur Personenbeförderung bauten. Wie diese Geschichte weitergeht, ist ab Seite 24 zu lesen.
Auch wenn die Europäer vergleichsweise spät auf das Strandsegeln kamen – als die Leidenschaft dafür einmal erwacht war, ging es zügig dahin. Im letzten Jahrhundert legten zahlreiche Innovationen und technische Neuerungen das Fundament dafür, dass Strandsegeln heute ein so faszinierender Sport sein kann. Und es auch bleibt …
Nachfolgend ein chronologischer Abriss der vielen großen Schritte dorthin.
Im Jahr 1949 ließ ein Belgier namens Coppens einen dreirädrigen Segelwagen mit 15 Quadratmeter Segelfläche bauen, der bereits Geschwindigkeiten von bis zu hundert Stundenkilometer erreichen konnte. Viele seiner Landsleute taten es ihm nach, ebenso wie im benachbarten Frankreich. Sowohl in Belgien wie in Frankreich wurde bereits Ende der 50er Jahre um die besten Plätze unter den Strandseglern gekämpft – überwiegend in selbst gebauten Segelwagen.
Die belgischen und französischen Segelwagen waren der Grundstock für die Klasse 1 gemäß Definition der FISLY. Darauf und auf Basis des bekannten Kleintransporters Goliath baute man dann in St. Peter-Ording die ersten, schnellen Segelwagen der Klasse 1. Das Gründungsmitglied des YCSPO, Helmut Spielmann, wurde darin 1963 erster Europameister – auf der ersten, jemals ausgetragenen Europameisterschaft.
Der Goliath war noch bis in die siebziger Jahre hinein das erfolgreichste Chassis der Klasse 1. Uwe Schröder wurde insgesamt fünf Mal Europameister mit einer Kirbis-Yacht, die dieses Chassis nutzt.
In Folge der Europameisterschaft von 1963 entwickelten sich die Segelwagen schnell weiter:
Klasse 2 und 3 etablierten sich. Klasse 3 entstand auf Basis der vom Eissegeln bekannten DN (Detroit News), dazwischen platzierte sich Klasse 2. In dieser war insbesondere der Holländer
Johannes Dekkers aktiv. Er baute einen der ersten Segelwagen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) und setzte einen so genannten Flügel- oder Wingmast ein.
Damit hatten sich in den sechziger Jahren die wesentlichen Klassen im Strandsegeln entwickelt. Der Kunststoffbau revolutionierte diesen Sport in den siebziger Jahren weiter.
Ebenso wie im übrigen Fahrzeugbau galt auch beim Strandsegeln die Maßgabe, die Fahrzeuge leichter zu machen. Ein Segelwagen der Klasse 1 wog in den 60er Jahren immerhin noch bis zu 500 Kilogramm. Neue Materialien waren gefragt. Sie kamen, insbesondere in der Klasse 3: Hier wechselte man von Metall- oder Holzbaustoffen hin zu GFK.
Die DN, in der Regel ausschließlich aus Holz gebaut, wurde in Belgien durch Robert Demeuysere, Georges Ameele und Karl Demaeyer von der DAD (Demeuysere-Ameele-Demaeyer) abgelöst. Damit entstand auf Basis der DN die neue Klasse 3. In der das YCSPO-Mitglied Rüdiger Grassy 1971 Europameister wurde.
In der Klasse 2 entwickelte Georges Ameele ebenfalls neue Yachten. Am bekanntesten wurde die Big Dad aus dem Jahr 1975: Ein Wagen für zwei Passagiere, in dem Ameele die erste Weltmeisterschaft in der Klasse 2 im Strandsegeln gewann.
1975 starteten letztmalig Segelwagen der Klasse 1 auf einer Meisterschaft. Heute sind sie nur noch auf den Oldtimer-Rennen in Belgien zu sehen.
Zum Ende der 70er Jahre kamen auch kleinere Segelwagen auf den Strand. Daraus entwickelten sich später die Klasse 5 und die Standarts. Auch der Manta gelangte in dieser Zeit aus den USA auf europäische Strände.
Zu Beginn der 80er Jahre war Georges Ameele der einzige Konstrukteur, der in größerer Stückzahl Segelwagen baute. 1982 brachte er als neue Klasse 3 den Sandrover heraus. 1984 folgte der Sharc, entwickelt und gebaut vom bisher erfolgreichsten Strandsegler weltweit, Bertrand Lambert aus Frankreich.
In der Klasse 2 beherrschte der Speedy die 80er Jahre.
Aus dem Sammelsurium der Klasse 4?-?Manta, Mini 4 und Eigenbauten – entwickelte sich schließlich die Klasse 5. Ihr Ziel sollte ein günstiger Preis, geringeres Transportgewicht und dadurch eine schnelle Verbreitung sein. Tatsächlich wuchs diese Klasse auch sehr schnell. Doch das Regelwerk reichte nicht aus, um die Konstrukteure neue, teure Ideen entwickeln zu lassen.
Die Klasse 4 starb im Laufe der 80er Jahre sehr schnell aus. Die FISLY entschied sich deshalb zu einer Ausschreibung für eine Standartklasse. Ein Wagen dieser Klasse wurde bereits auf der Europameisterschaft 1989 präsentiert: vom französischen Konstrukteur Jean Philippe Krischer mit seiner »Standart-Yacht«. Die von der FISLY eingesetzte Jury bestätigte sie als der Ausschreibung genügend, womit die weltweite Expansion dieser Yacht einsetzte.
Um besonders Klasse 2 und 3 schneller zu machen, brauchte es neue Ideen. Sie kamen, aus Neuseeland und Amerika: Verlängerung des Mastes lautete die Devise. War der ursprüngliche DN-Mast der Klasse 3 noch 4,72 bis 4,87 Meter lang, wuchs er zunächst auf fünf Meter heran. Zum Ende der 90er brachte er es dann schon auf 6,10 Meter.